April 19, 2024

1. Hannibal, Sklaverei und Gracchus. Beginn der Römischen Revolution.


Die Ereignisse, die Julius Caesar vorausgingen und die er zum Abschluss brachte, begannen bereits viele Jahrzehnte vor seiner Geburt. Die Römische Revolution ist durch erbitterte Auseinandersetzungen zwischen der Adelspartei der Optimaten und der „Volkspartei“ der Popularen gekennzeichnet. Sie beginnt 133 vor Christus (alle Jahreszahlen liegen vor Christus, sofern sie nicht anders gekennzeichnet sind), als Tiberius Gracchus sein Amt als Volkstribun antrat.
Doch wie war es überhaupt zu einer so großen Unzufriedenheit unter der einfachen Bevölkerung gekommen? Warum hatte sich zwischen Ober- und Unterschicht ein derartiges Konfliktpotential angehäuft? Was war faul im römischen Staatswesen?

Rom hatte seit seinen bescheidenen Anfängen kontinuierlich Krieg geführt und in zähen Auseinandersetzungen erst die Latiner und dann nacheinander die Etrusker, die Samniten und die italischen Griechenstädte (z.B. Tarent) unter der Führung des herbeigerufenen König Pyrrhus von Epirus niedergerungen. Zwischendurch hatte man noch mit den Kelten gekämpft und war dereinst sogar von ihnen überrannt worden („Gallierkatastrophe“, Brand Roms, 387). Als schließlich die gesamte italische Halbinsel unterworfen war, trat man gegen die damalige Supermacht Karthago an. Schon der erste Punische Krieg (264-241) belastete die römischen Finanzen stark. In dem wechselhaften Kriegsgeschehen mussten die Römer, um den Krieg zu gewinnen, eine Flotte aus privaten Geldbeständen finanzieren. Nach dem Friedensschluss erhielt man dafür Kriegsentschädigung von den Karthagern, die, um die hohen Zahlungen leisten zu können, ihrerseits Iberien eroberten. An der Spitze des karthagischen Staates stand der Barkiden-Clan, dem auch Hannibal entstammte. Den Römern wurde der erneute Machtzuwachs der Karthager unheimlich, und nach einem Konflikt um die Griechenstadt Sagunt in Iberien, die unter dem Schutz Roms stand, obwohl sie sich in dem den Karthagern zugestandenem Gebiet befand, brachen sie erneut einen Krieg vom Zaun. Hannibal, inzwischen karthagischer Heerführer in Iberien, zog gegen Rom, der zweite Punische Krieg war im Gange.

Hannibal Barkas, der Schrecken Roms.

Im Jahre 218 fiel Hannibal nach seiner spektakulären Alpenüberquerung in Italien ein. Er schlug die Römer in den nächsten zwei Jahren am Ticinius, an der Trebia, am Trasimenischen See, bei Cannae und bei unzähligen weiteren kleinen Scharmützeln. Er zog plündernd und verwüstend (was damals allgemein üblich war) durch ganz Italien und nahm mehrere große Städte ein (Capua, Tarent). Letzten Endes scheiterte er daran, dass er unter den römischen Bundesgenossen nicht genug Verbündete fand, die sich gegen Rom erheben wollten, es entstand nur regional begrenzter Widerstand. Darüber hinaus verweigerten die karthagischen Machthaber Hannibal ihre Unterstützung; sein makedonischer Verbündeter, Phillipp V., wurde vom Ätolischen Bund und den Römern geschlagen. Dennoch hielt sich Hannibal von 218 bis 202 in Italien und zerstörte das Land auf Jahre hinaus. Als er Italien verließ, hatte er die zähen Römer beinahe ausgeblutet, etliche Bauern saßen auf „verbrannter Erde“, waren mittellos und verarmt, oder wurden im Zuge der kompromisslosen Aufrüstung gegen Karthago in den Kriegsdienst eingezogen.

Im Ergebnis des erfolglosen Kampfes Hannibals gegen Rom war die soziale Struktur der römischen Bevölkerung nachhaltig beschädigt. Das Gefälle zwischen der reichen Oberschicht und den Armen wurde eklatant: Die Reichen kauften das verwüstete Land der mittellosen Kleinbauern auf und wurden zu Großgrundbesitzern. Den Armen blieb nichts anderes übrig, als das Land zu verlassen und in die Stadt zu ziehen, um wenigstens ernährt zu werden. Auch heimkehrende Soldaten mussten feststellen, dass das Land welches sie verlassen hatten, inzwischen nicht mehr ihnen gehörte und mussten entweder, genau wie die landlosen Kleinbauern, in die Städte ziehen oder im Kriegsdienst verbleiben.

Hinzu kam, dass die Römer einen einmaligen Siegszug über die Völker des Mittelmeeres antraten. Nicht nur die Karthager wurden besiegt (219-202), sondern auch die Makedonen (200-197, Phillipp V.) und der vielleicht mächtigste, aber ebenso unfähige Gegner, der Seleukidenherrscher Antiochos III. in Kleinasien. Letzterer wurde von L. Cornelius Scipio geschlagen, dem Bruder des Scipio Africanus (Sieger über Hannibal bei Zama in Nordafrika), wofür er den Ehrennamen Asiaticus erhielt.
Da auch das geschlagene Karthago den Römern ein Dorn im Auge war, suchte und fand man zur Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts einen Grund für den dritten Punischen Krieg. Karthago hatte keine Chance; es wurde besiegt, völlig zerstört und existierte danach praktisch nicht mehr.

Ergebnis dieser ruhmreichen Siege war eine gewaltige Sklavenflut. Sklaverei war schon seit Jahrtausenden bekannt und wurde in der Antiken Welt als etwas Natürliches anerkannt. Selbst ein Aristoteles verstieg sich zu der Vermutung, die einen seien zum Herrschen, die anderen zum Dienen geboren. Die reichen römischen Ritter und Senatoren hatten jedenfalls außerordentlich preiswerte Arbeitskräfte erhalten, die sie an Stelle ihrer teureren Landleute rücksichtslos auf den neuerworbenen Ländereien einsetzten. Wieder wurde die Landbevölkerung in die Städte gedrängt. Es darf angenommen werden, dass im zweiten vorchristlichen Jahrhundert zwischen 500.000 und einer Million Sklaven aus Afrika, Griechenland, Asien und Gallien nach Italien kamen. Da in Italien die von Sklavinnen geborenen Kinder ebenfalls Sklaven waren, wurden solche Geburten mit Wohlwollen betrachtet. Man geht davon aus, dass zur Zeit des Kaisers Augustus etwa ein Viertel bis ein Drittel der italischen Bevölkerung aus Sklaven bestand. In Rom selbst machten die Sklaven nahezu die Hälfte der Einwohner aus. Mittlerweile kamen die Sklaven auch nicht mehr nur aus dem Ausland, denn zunehmend gerieten auch verarmte, einstmals freie Italiker in die Sklaverei.

Auch die Gewinne aus den Kriegszügen durch Plünderung oder Reparationszahlungen kamen überwiegend den Reichen zugute, die sich große Teile der Beute aneignen konnten. In dieser Zeit der immer stärker auseinander driftenden Gegensätze begann die Entwicklung zweier unterschiedlicher Parteien, den Popularen und den Optimaten, die sich später ganz offen in Bürgerkriegen gegenüberstehen sollten (Marius – Sulla, Caesar – Pompeius).

Zur ersten öffentlichen Artikulation der „popularen“ Partei kam es durch die Gracchen, den Brüdern Tiberius und Gaius. Sie stammten aus gutem römischen Hause, nämlich dem der angesehenen Sempronier. Ihre Mutter war Cornelia, eine Tochter des legendären Siegers über Hannibal, Scipio „Africanus“. Die Gebrüder Gracchus genossen die klassische römische Ausbildung in Geschichte, Kultur und Griechisch, die auch ein Sulla und ein Caesar absolvieren sollten.
Tiberius Gracchus war der ältere der beiden Brüder. Er gehörte zur Armee des Scipio Aemilianus, der 133 Numantia, die letzte kelt-iberische Hochburg in Spanien, einnahm. Damit war Spanien endgültig (und auf Jahrhunderte) in römische Hand gefallen, auch wenn später sogar Caesar noch einzelne „Widerstandsnester“ ausheben musste. Bei dieser Schlacht um Numantia treffen wir übrigens noch auf andere Personen, die uns bald interessieren werden, z.B. den Numidierfuersten Jugurtha und den jungen Marius. Doch zurück zu Tiberius, der nach dem Fall Numantias nach Rom zurück reiste. Tiberius erschrak über den Zustand Italiens und erkannte deutlich die Missstände auf dem Lande und deren katastrophale Folgen. Durch ständige Kriege, Aufstände und Revolten war das Land in Oberitalien (Gallia Cisalpina) und Etrurien verödet und verarmt. Auf den blühenden Landstrichen, die auf den großen Landgütern der Reichen entstanden waren, arbeiteten vielerlei fremdländische Sklaven, während das eigene Volk hungernd und schmachtend in die Städte floh, abhängig von öffentlichen Getreidezuteilungen. Diese erschreckenden Erkenntnisse beeindruckten Tiberius derart, dass er beschloss, etwas dagegen zu unternehmen. Tatsächlich gab es nämlich ein Gesetz, welches die Kleinbauern vor den reichen „Landhaien“ hätte schützen sollen, nämlich das Sextisch-Licinische Ackergesetz aus dem Jahre 367/66. Dieses besagte, dass jeder Bürger höchstens 500 Morgen (125 ha) Staatsland nutzen durfte. Das Gesetz fand in der Folge des zweiten karthagischen Krieges bald keine Beachtung mehr, da die meisten Senatsmitglieder, die über die Einhaltung der Gesetze zu wachen hatten, selbst zu Großgrundbesitzern geworden waren. Sie wollten sich bei ihrer Bereicherung nicht einschränken lassen.

Tiberius Gracchus ließ sich im Jahre 133 in das zehnköpfige Volkstribunat wählen, das einzige Verfassungsorgan, das bei geschickter Handhabe der Stimmkraft dem Senat, der von der adligen reichen Oberschicht dominiert wurde, Paroli bieten konnte. Der Gracche forderte die strikte Anwendung des Sextisch-Licinischen Ackergesetzes und verlangte, dass das unrechtmäßig angeeignete Land (keiner sollte mehr als 500 Morgen besitzen) in Parzellen von 30 Morgen (7,5 ha) an besitzlose Kleinbauern oder Proletarii vergeben werden sollte. Die Landverteilung sollte von einem Drei-Männer-Kollegium überwacht und durchgeführt werden. Die Senatoren wehrten sich natürlich mit allen Mitteln gegen ein Gesetz, welches sie „an den Bettelstab bringen würde“. Octavius, ein Strohmann des Senats im Tribunat, nutzte im Senatsinteresse sein Veto-Recht, um das Gesetz zu verhindern. Tiberius tat daraufhin etwas ganz und gar Ungehöriges, etwas revolutionäres, weshalb das Jahr 133 dann auch als das Anfangsjahr der römischen Revolution angesehen wird. Tiberius ließ eine illegale Abstimmung in den Tribuskomitien durchführen und, was sogar noch illegaler war, Octavius absetzen. Damit stellte er den Volkswillen, den er verständlicherweise hinter sich hatte, über den Senatswillen. Das Dreimännerkommitee aber konnte seine Arbeit aufnehmen, das Sextisch- Licinische Ackergesetz fand nun endlich Anwendung.

Im selben Jahr starb König Attalos von Pergamon, der sein kleinasiatisches Reich dem römischen Volk vermachte. Tiberius forderte den Einsatz des Erbes, um Ackergeräte anzuschaffen. Erneut wurde das Gesetz durch eine Volksabstimmung verabschiedet, der Senat wiederum übergangen. Die Senatoren befürchteten mittlerweile, dass die zunehmende Volkssouveränität einen Wandel in der römischen Verfassung herbeiführen könnte. Als sich Tiberius 132 erneut gegen die Gesetze zur Wahl stellte, wurde der Senatsbeschluss consultum ultimum, also der Ausnahmezustand erlassen. Tiberius und seine Anhänger wurden durch Nasica, dem Oberpriester oder pontifex maximus von Rom (ein Amt, dass auch Caesar bekleiden würde), ermordet. Die tumultartigen Zustände auf den Straßen Roms als Reaktion auf diesen Mord wurden durch den Einsatz der Armee gewaltsam beendet.


Auf den Strassen Roms herrschten tumultartige Zustände. 
Aus Angst vor weiteren Unruhen stoppten die Senatoren nicht sogleich das Dreimännerkollegium und das Ackergesetz, beschnitten aber dessen Macht, wodurch es langsam von selbst einschlief.

Zehn Jahre nach Tiberius versuchte sein jüngerer Bruder Gaius, die Reformen des Tiberius weiterzuführen und seine Träume zu verwirklichen. Gaius muss ein sehr couragierter Mann gewesen sein, ein Idealist, denn es ist sicherlich nicht einfach, das Erbe eines Bruders anzutreten, der auf diese Art und Weise ermordet worden war. Doch auch Gaius war zunächst erfolgreich: Er konnte sich neben der Zuneigung des Proletariats auch noch die Unterstützung der Ritter sichern. Diese waren eine Art finanzkräftiges „Grossbürgertum“, zwar kein Hochadel, aber dennoch enorm einflussreich. Erneut sollte Staatsgrund an die Armen verteilt werden, und die Soldaten sollten auf Staatskosten ausgerüstet werden (bisher war ihnen die Ausrüstung vom Sold abgezogen worden). Für die Proletarier in der Stadt sollte es billige Getreidezuteilung geben. Da ja Liebe bekanntlich durch den Magen geht, lag das Volk alsbald Gaius zu Füssen und im Jahre 123 wurde er Volkstribun. In seiner Amtsperiode erreichte er unter anderem, dass die Institution der Geschworenengerichte in die Hände der Ritter überging (womit er diesen Stand faktisch köderte), die von jetzt an die bisher vom Senat durchgeführte Kontrolle über die adeligen Provinzstatthalter übernehmen konnten.

122 wurde Gaius wiedergewählt. Er ließ das Ackergesetz ergänzen und forderte die Gründung von Kolonien für römische Bürger außerhalb Italiens. Dann jedoch forderte er ein Weiteres, nämlich das Bürgerrecht für Bundesgenossen. Dieser naheliegende Vorschlag sollte ihm politisch den Hals brechen. Allerdings bleibt für uns festzuhalten, dass Gaius ein visionärer Vordenker war, denn er sorgte sich nicht nur um das Wohl seiner römischen Mitbürger, sondern auch um das der anderen Italiker. Es war schon mutig genug von ihm gewesen, überhaupt in die Fußstapfen seines Bruders zu treten, doch nun schwang er sich auch zum Anwalt aller Italiker auf. Es passierte ihm daraufhin allerdings das Schlimmste, was einem Volkspolitiker passieren kann: Die Basis entzog ihm das Vertrauen. In einer beispiellosen Kleinkariertheit meinten die römischen Proletarier und Ritter, an ihrem einzigen Vorteil gegenüber den Bundesgenossen festhalten zu müssen, nämlich dem Privileg, stimmberechtigter römischer Bürger zu sein. Sie alle, Volk, Ritter und Senat, hätten sich viel Blut und Tränen gespart, wenn sie Gaius‘ Vorschlag gefolgt wären, denn die Bundesgenossen sollten sich keine fünfzig Jahre später in einem opferreichen Krieg, der Rom an den Rande der Niederlage brachte, ihr Bürgerrecht erkämpfen.

Aufgrund der Entfremdung von seinem eifersüchtelnden Wahlvolk wurde der vorausschauende Gaius folglich im Jahre 121 nicht wiedergewählt. Als der amtierende Konsul L. Opimius (der Name ist Programm – ein Optimat!) versuchte, Gaius‘ reformatorische Gesetze abzuschwächen, sammelte sich um Gaius erneut eine Schar Anhänger. Der Senat erteilte getreu dem Beispiel aus dem Jahr 132 die senatus consultum ultimum. Opimius organisierte die Anhänger der Optimaten und es kam zu Straßenkämpfen in Rom, bei denen es auf der Seite der Popularen über 3000 Tote gab. Gaius konnte fliehen, geriet aber in eine aussichtslose Situation. Um nicht in die Hände der Optimaten zu fallen, ließ sich der gestürzte Reformator von seinem eigenen Sklaven erschlagen.

Der Senat hatte sich durchgesetzt und übernahm wieder die totale Kontrolle. Dank der Eigensucht der römischen Bürger, die ein trauriges Beispiel für die Borniertheit der menschlichen Natur gaben, konnte der Senat vorläufig ungestört seine Misswirtschaft weiterführen.


Christian Ilaender, August/September 1996. Korrigiert und verbessert durch Peter Mühlan Januar 2003.


Caesar


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