Dezember 8, 2024

Temudschins Geburt und Jugend (1162 – 1180)


Die Mongolen waren zum Zeitpunkt von Temudschins Geburt kein geeintes Volk; vielmehr waren sie zerstritten und bekämpften untereinander in blutigen Fehden. Doch nicht nur Mongolen lebten in der Steppe – auch Türk-Stämme, Mandschu und Tungusen kämpften um die Weidegründe. Große Gebiete konnten die Naimanen für sich beanspruchen, östlich von ihnen besetzten die Kereit große Gebiete. Sie mußten sich allerdings dauernd mit den Tataren auseinandersetzen.
Die eigentlichen Mongolen zerfielen in diverse einzelne Stämme ( = Ulus = Befehlsbereich). Sie siedelten im Osten der heutigen Mongolei und zogen zwischen den Flüßen Onon, Orchon und Kerulen umher. Die Stämme befanden sich unter der Führung einzelner Anführer – diese nannten sich je nach Abstammung Baatur (Ritter) oder Noyon (Häuptling). Auch Yesügei, der Vater Temudschins, war dank seiner edlen Herkunft ein solcher Baatur und führte einen Stamm an. Dessen Urahnen wurden von den mongolischen Geschichtsschreibern als Wolf und eine weiße Hirschkuh bezeichnet – damit wollte man Dschingis Khan eine mythische Herkunft geben. Der Nachfahre dieser Ahnen hieß Batatschichan, dessen Sohn Dobun hieß. Der wiederum war mit Alan der Schönen verheiratet. Als Dobun verstarb, gebar sie dennoch drei weitere Söhne. Nach der Herkunft der drei Kinder befragt, behauptete sie, jede Nacht habe ein goldglänzender himmlischer Mann bei ihr gelegen. Einer dieser Söhne, er hieß Bodontschar, ist historisch unumstritten. Er gründete der Stamm der Bürtschigin, aus denen das Geschlecht Dschinghis Khans hervorging.
Einer der Nachfahren, der einige Jahrzehnte vor Yesügei lebte, hieß Kabul Khan. Schon ihm war es gelungen, die Stämme der Steppe unter seinem Banner zu einen und erfolgreich Krieg gegen die Chinesen zu führen. Von Bestand war sein Reich allerdings nicht und so war Yesügei einer der diversen Enkel, die um sein Erbe kämpften – übrigens durchaus nicht derjenige, welcher am höchsten gehandelt wurde. Allerdings machte er dem Ahnherren dennoch alle Ehre – er kämpfte mit wechselndem Erfolg gegen die verschiedenen mongolischen Sippen und gegen die Tataren. Als er gerade auf dem Sprung zu wirklich großen Erfolgen war, ereilte ihn sein Schicksal  – doch dazu später mehr.
Yesügei war ein Mann der Steppe und als solcher beherrschte er nicht gerade sonderlich angenehme Umgangsformen. So raubte er sich zum Beispiel seine zweite Frau, welche die Mutter Temudschins werden sollte. Als er mit seinen Brüdern auf der Jagd war, erblickte er ein frisch verheiratetes Paar: Hoelun und ihren Gatten Tschiledu aus dem Stamm der Merkiten. Schnell holte er die Hilfe seiner Brüder zur Hand und jagte Tschiledu davon – als dieser die letzten Worte mit Hoelun sprach, gab diese ihm zu verstehen, er solle fliehen, denn er könne eine andere heiraten. Und so machte sich Tschiledu davon, während Yesügei seine neue Braut in sein Lager führte. Tschiledu sah Hoelun nie wieder, aber seine Verwandten würden Rache für ihn nehmen.
Daß Hoelun nicht freiwillig mit Yesügei ging, liegt auf der Hand – allerdings muß sie schnell gemerkt haben, daß Yesügei ein äußerst talentierter Mann war. In den folgenden Jahren war sie ihm eine gute Ehefrau und scheint ihn sogar lieben gelernt zu haben. Als ihr Mann starb, war sie es, die die Interessen seines aussichtsreichsten Sohnes wahrnahm und schützte.
Doch noch als Temudschin gezeugt wurde, erhielt Yesügei einen üblen Dämpfer, denn die Tataren verpaßten ihm eine ordentliche Abreibung. Nun war der Vater dem Sohne sehr ähnlich und ließ dies nicht auf sich sitzen. Mit allen verbliebenen Verbänden und der Unterstützung seiner Verbündeten griff er die Tataren erneut an und diesmal obsiegte er. So kehrte er in sein Ulus zurück, in welchem ihm Hoelun mittlerweile einen Sohn geboren hatte. Diesen nannte man Temudschin, da dies der Name eines der gefangenen Tatarenhäuptlinge war.
Nun ranken sich um die Geburt der meisten großen geschichtlichen Persönlichkeiten Mythen; so auch bei Temudschin: angeblich hielt der Knabe bei seiner Geburt einen blutigen Klumpen in der Hand und so prophezeiten die Schamanen dem Sohn Yesügeis eine glorreiche Zukunft als gewaltiger Krieger (Frühjahr 1162). Yesügei machte Hoelun im folgenden zu seiner Hauptfrau – die Frau, die bisher diesen Platz inne gehabt hatte, räumte ihn offenbar klaglos. Yesügei war offenbar von Hoeluns Intelligenz und Machtbewußtsein überzeugt.
Yesügei hatte insgesamt sieben offizielle Nachkommen: Temudschin, Khassar, Chatschiun, Temuge-Ottschigen und die Tochter Temulun stammten aus seiner Ehe mit Hoelun, die Söhne Bektar und Belgütei von seiner anderen Frau. Schon früh wurde die Rivalität zwischen Bektar, dem die mongolische Geschichtsschreibung einen diebischen und üblen Charakter auf den Leib schneidert, und Temudschin, der um einiges jünger war, offensichtlich. Temudschin würde zeigen, daß er seine eigenen Methoden hatte, um mit seinem Halbbruder fertig zu werden. In der Nähe wuchs auch Dschammucha auf, ein designierter Häuptling eines großen Teilstammes der Mongolen. Mit ihm schloß Temudschin enge Freundschaft und bald wurde Dschammucha zu seinem Anda, seinem Blutsbruder. Eigentlich sollte dieser Blutsschwur das ganze Leben lang halten, doch auch hier nahm die Geschichte einen anderen Verlauf und einer würde den anderen hinrichten. Doch das lag noch in ferner Zukunft.
Yesügei stellte sich immer mehr als geschickter Heerführer heraus. Er vergrößerte sein Ulus beständig und arbeitete auf eine Vormachtstellung unter den Ur-Mongolen hin. Zu seinen militärischen Erfolgen sollten sich bald auch Zuwächse durch geschickte familiäre Verbindungen gesellen, weshalb er den mittlerweile neunjährigen Temudschin auf eine Reise zu verschiedenen Stämmen mitnahm, um eine passende Braut für ihn zu finden (9 Jahre war bei den Mongolen für diesen Zweck kein ungewöhnliches Alter).
Auf der Durchreise machten sie bei dem Stamm der Olchounut halt, aus welchem auch Temudschins Mutter Hoelun stammte. Hier schien man Yesügei offenbar nichts zu verübeln – was aber auch kaum zu erwarten war, da der Stamm eher schwach  und Yesügei mittlerweile ein gefährlicher Gegner war. Der Häuptling der Olchounut war aber offenbar beeindruckt von dem jungen Temudschin. Dieser, untersetzt und kräftig für sein Alter, besaß helle Augen und rötliches Haar. Angeblich bewog das Feuer in den Augen des Jungen den Häuptling dazu, Yesügei die eigene wunderschöne Tochter Bürte für den Sohnemann anzutragen. Yesügei sah die Schönheit des Mädchens und stimmte dann zu, da es auch offensichtlich war, daß die Kinder sich mochten und vielleicht auch einmal lieben würden. Dei Setchen, der Häuptling der Olchounut, hatte jedenfalls ein gutes Geschäft gemacht, denn von Yesügei war noch viel zu erwarten. So blieb Temudschin, wie es üblich war, erst einmal für einige Zeit im Lager des zukünftigen Brautvaters, während Yesügei sich wieder auf den Weg nach Hause machte. Auf dieser letzten Reise Yesügeis traf dieser schließlich seine Bestimmung, denn nicht er, der wohl ähnliche Anlagen und Talente wie der Sohn hatte, sondern Temudschin würde einst Dschingis Khan, also ozeangleicher Herrscher genannt werden.
Kurz bevor er im heimischen Ulus ankam, traf Yesügei auf eine Gruppe nomadisierender Tataren, welche mittlerweile durch ihn unterworfen worden waren. Sie nahmen ihn gastlich auf und versorgten ihn mit Speis und Trank. Dennoch hatten die Tataren ihren Peiniger wiedererkannt und rächten sich auf heimtückische Art und Weise, denn die Speisen waren vergiftet – so will es jedenfalls die mongolische Geschichtsschreibung. Da Yesügei in den besten Jahren stand und auch seine Söhne ein respektables Alter erreichten, erscheint diese Version der Geschichte nicht unwahrschleinlich.
Als Yesügei drei Tage später im Lager ankam, lag er bereits im Sterben. Eilends wurde Temudschin ins Ulus zurückgerufen, der nur Bürte erklärte, warum er wieder gehen mußte. Sie versprach auf ihn zu warten und dies tat sie auch: über 7 Jahre – dies mag dokumentieren, daß sie Temudschin tatsächlich liebte.
Als Temudschin irgendwann im Sommer 1171 im Lager eintraf, war der Vater schon gestorben und die unter seiner Standarte vereinten Stämme brachen auseinander. Hoelun versuchte die Stämme zusammenzuhalten und die Führung für ihren minderjährigen Sohn wahrzunehmen; aber als Frau hatte sie einen schlechten Stand. Die Frauen der anderen Adelssippen sahen die Gelegenheit gekommen, die ungeliebte Konkurrentin auszubooten. Sie verweigerten ihr die Teilnahme an einer Opferzeremonie und schließlich verließen die einzelnen Stämme die Familie Yesügeis. Vor allem die Taichuten, ein Mongolenstamm, übernahmen die Führung des ehemaligen Ulus Yesügeis. Als Hoelun noch einmal versuchte die aufbrechenden Massen zurückzuhalten, wurde ein alter Krieger, welcher sich ihr zur Seite stellte, kurzerhand niedergestochen und schließlich auch die Herden Yesügeis entführt.
Yesügeis Familie hatte also vorläufig alles verloren – die beiden Frauen, die sechs Söhne und die Tochter lebten die nächsten Monate und Jahre in einer einsamen Jurte und fristeten ein Leben in Armut. Dieses wurde dadurch erschwert, daß die Rivalität zwischen Bektar und Temudschin immer klarer hervortrat. Dabei scheint der ältere und stärkere Bektar die jüngeren Halbbrüder Temudschin und Khassar ständig geärgert, bestohlen und verprügelt zu haben. Hoelun schritt nur bedingt ein, da sie der Meinung war, daß Temudschin es lerne müsse sich durchzusetzen – schließlich war er der Erbe Yesügeis und nichts sprach dagegen, daß er als Erwachsener wieder Ansprüche geltend machen konnte.
Nun, dies mußte man Temudschin wahrlich nicht unter die Nase reiben. Als Bektar den hungernden Halbbrüder einen frisch gefangenen Fisch raubte, war daß Maß voll. Temudschin zeigte früh, daß er wußte, wie er mit Menschen umzugehen gedachte, welche ihn bedrohten. Mit Bögen bewaffnet stellten Temudschin und der ihm gefolgte Khassar Bektar – dieser glaubte nicht an eine Bedrohung und forderte die beiden auf, ihre Bögen zu senken. In der mongolischen Chronik heißt es, Bektar habe das über ihn gesprochene, gerechte Urteil hingenommen und sich in aller Ruhe hinschlachten lassen – wahrscheinlich aber glaubte er wohl eher nicht daran, daß Temudschin ernst machen würde. Ein Fehler, den später noch Hunderttausende begehen würden. Das Ergebnis blieb dasselbe, den Temudschin ermordete den Halbbruder, von dem er sich seit jeher bedroht gefühlt hatte. Dies war offenbar der erste Tote, den Temudschin auf dem Gewissen hatte und wir können davon ausgehen, daß der Haussegen in der einsamen Jurte für eine Weile gewaltig schief gehangen hat. Allerdings stand die Familie später weiter felsenfest zu Temudschin – wie auch sein verbliebener Halbbruder Belgütei, Bektars Bruder. Dieser sollte später einer von Temudschins treuesten Generälen werden; allein dies mag zeigen, daß Bektar sein Schicksal tatsächlich selbst verschuldet hatte.
Allerdings war die Familie mit der Ermordung des Halbbruders noch längst nicht von jeder Bedrohung befreit. Denn mit dem Älterwerden Temudschins wurde er immer mehr zu der Gefahr für die Thronprätendanten, die um Yesügeis Nachfolge stritten und somit setzten diese bald alles daran, seiner habhaft zu werden.
Als Temudschin etwa vierzehn oder fünfzehn Jahren alt war, versuchte der Taichuten-Häuptling Thargutei, ihn in seine Gewalt zu bringen. Bisher hatte Thargutei, der Yesügei den Treueeid geschworen hatte, mit mäßigen Erfolg versucht, dessen Vormachtstellung unter den Mongolen einzunehmen. Mit Temudschin in seiner Hand, den einige immer noch als den rechtmäßigen Nachfolger ansahen, hoffte er, alle Widerstände gegen sich ausmerzen zu können. Temudschin wurde gewarnt und entfloh auf einen Berg. Im dortigen Dickicht verbarg er sich tagelang vor den Taichutentrupps. Als er beinahe verhungert war, hat er sich wohl selbst die Frage gestellt, warum er ausgerechnet hier sterben solle und floh von dem Berg – woraufhin er gefangen genommen wurde.
Der Taichutenhäuptling Thargutei verzichtete auf eine Hinrichtung des Jungen, sondern zwang ihn in ein Joch. Alsbald mußte der Junge als Diener abwechselnd bei den Adelsfamilien dienen. Dies hatte sicher zum Zweck, daß der Geist und Wille des Jungen gebrochen werden sollten, während es Thargutei auf der anderen Seite vermied, einen Märtyrer zu schaffen. Eigentlich sehr klug, allerdings hätte der Taichut in diesem Falle von solchen Plänen Abstand nehmen sollen – für die unehrenhafte Behandlung Temudschins sollte auch er später mit dem Leben bezahlen.
Angeblich befreite sich der Junge, indem er sich selbst so oft gegen einen Baum warf, bis daß Joch zerbrach. Wesentlich wahrscheinlicher ist, daß jemand mit dem Jungen Mitleid hatte und ihn befreite. Ein aussichtsreicher Kandidat hierfür war der altgediente Krieger und Unterhäuptling Sorkan-Shira. Dieser hatte unter Yesügei gedient und sich (vielleicht eher unwillentlich) mit seinem Suldus-Stamm dann dem Ulus der Taichuten angeschlossen. Temudschin verschwand offenbar zu der Zeit, in der er bei Sorkan-Shira diente und floh in die Steppe – mit kaum mehr als den Kleidern, welche er am Leibe trug.